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Das Seil

Wie selbstverständlich setzen wir uns auf jeden Stuhl, begehen Treppen und steigen ein in alle möglichen Verkehrsmittel. Dass dieses zur unbefragten Selbstverständlichkeit gewordene Vertrauen in die Verlässlichkeit der Dinge erst in einem durchaus konflikthaften Prozess erworben wurde, wird uns allenfalls bewusst bei der Beobachtung von Kindern oder in Situationen jenseits der Alltagsroutine, z.B. in der Seilbahn. Wie vielschichtig ein solcher Prozess sein kann, zeigt sich besonders beim Klettern und Abseilen, da hier neben der Zuversicht, dass die Dinge wie Seil, Karabiner und Gurt halten, noch zwei weitere Umstände hinzutreten, nämlich das Sich-verlassen-Können auf den Partner und ein Gefühl für die eigenen körperlichen Fähigkeiten und Vermögen.

[...] Eine Eigenart des Bergsteigens besteht unter anderem darin "dass jeder Seilpartner abwechselnd für Leben und Gesundheit des anderen verantwortlich ist und dann wieder in derselben Weise sich dem anderen anvertrauen muss" (Antony/Herkert 1989). [...] Klettern und Abseilen kann vermitteln, dass Vertrauen erlernt werden kann. Die Tätigkeit eignet sich dazu, mit Jugendlichen differenziert über Schwierigkeiten im Vertrauen zu sprechen, da beim Klettern und Abseilen die drei Bereiche - Vertrauen zu sich selbst, zu anderen und zum Objekt - gesondert erfahren und betrachtet werden können: beim Klettern ist mehr das Selbstvertrauen angesprochen, beim Abseilen mit Eigensicherung die Zuversicht in die Verlässlichkeit der Dinge. [...] Das Abseilen ist eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen ein soziales Verhältnis sich unmissverständlich und sofort in der Gestalt von Körperempfindungen meldet.

aus: Mollenhauer, Klaus, Uhlendorff, Uwe: Sozialpädagogische Diagnosen : über Jugendliche in schwierigen Lebenslagen - Juventa, 1992, S. 122ff.