In unserem Küchenschrank stand im linken Mittelfach, neben den Medikamenten meiner Großmutter, eine blau-weiße Zuckerdose. Wenn ich mich als Fünfjährige auf die Zehenspitzen stellte, konnte ich gerade mit der Fingerspitze hineinlangen. Da es in der Nachkriegszeit kaum Süßigkeiten gab, war der Inhalt dieser Dose bei mir heiß begehrt. Schnell hatte ich heraus, dass, wenn ich den Finger anleckte, mehr Zucker kleben blieb. Kaum war ich einmal allein in der Küche, was nicht sehr häufig vorkam, denn die Küche war unser einziger Wohnraum, stürzte ich mich auf die Zuckerdose. Ich höre noch heute die eindringliche Stimme meiner Mutter: "Elke hast Du genascht?!" Natürlich bestritt ich mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt. Doch meine Mutter gab nicht auf: "Schau mich an" dann strich sie langsam mit ihrem Zeigefinger über meine Stirn. "Der liebe Gott hat auf Deine Stirn geschrieben: ELKE LÜGT!". Beschämt und empört stand ich da. Beschämt, denn ich war einer Lüge überführt, aber voller Empörung darüber, dass der liebe Gott mich verpetzt hat.

Und das habe ich ihm bis heute nicht verziehen. 

Elke, geboren 1943, Beruf: Pastorin