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>> 9. Freud am Schreibtisch

Freuds Beobachtung


Die hier vorgestellte Theorie entstammt Freuds Arbeit Jenseits des Lustprinzips von 1919. Freud beobachtet seinen 18 Monate alten Enkel, welcher, wenn er alleine ist, kleine Spielzeuge, begleitet durch den Laut ooooh weit von sich wirft. Wenn die Mutter das Kind für wenige Stunden alleine lässt, weint der Junge nicht "...obwohl er der Mutter zärtlich anhing..."1
Das Kind entwickelt das Verhalten, dass es eine Holzspule, welche an einem Faden hängt, aus dem Bett wirft und dann wieder zu sich heranzieht. Diese rhythmische Bewegung wird begleitet von stets demselben Lauten: ooooh, wenn das Kind die Spule weggeworfen hat und ein freudiges da entspricht der Situation, wenn es die herangezogene Spule wieder erblicken kann. Diese Holzspule findet ansonsten für kein anderes Spiel Verwendung.

Deutung der Handlung:
Der Ausruf oooh bedeutet nach "...dem übereinstimmenden Urteil der Mutter und des Beobachters..."2 - Freud: fort.
"Ich merkte endlich, dass das ein Spiel sei und dass das Kind all seine Spielsachen nur dazu benutzte, mit ihnen >>fortsein<< zu spielen."3 Dieses >>fortsein<< spaltet sich in eine gegenteilige Bewegung auf, aus welcher eine rhythmisierte Handlung - ein Spiel - wird: dem fortsein wird das da- Sein gegenüber gestellt.

Das war also das komplette Spiel, Verschwinden und Wiederkommen, wovon man meist nur den ersten Akt zu sehen bekam, und dieser wurde für sich allein unermüdlich als Spiel wiederholt, obwohl die größere Lust unzweifelhaft dem zweiten Akt anhing.4

Diese Handlung deutet Freud als eine kulturelle Leistung, des Triebverzichts (Verzicht auf die Triebbefriedigung), da das Kind ohne zu Weinen akzeptiert, dass die Mutter es alleine lässt und bewältigt dies in seinem Spiel. Das Kind wandelt die passive Situation (das Alleine -Gelassen- Werden) in eine aktive:. Es wird zum Akteur5 der Situation.

Man sieht, dass die Kinder alles im Spiel wiederholen, was ihnen im Leben großen Eindruck gemacht hat, dass sie dabei die Stärke des Eindruckes abreagieren und sich sozusagen zu Herren der Situation machen.6
[...]
"Es entschädigt sich gleichsam dafür, indem es dasselbe Verschwinden und Wiederkommen mit den ihm erreichbaren Gegenständen selbst in Szene setzte."7

" Es war passiv, wurde vom Erlebnis betroffen und bringt sich nun in eine aktive Rolle, indem es dasselbe, trotzdem es unlustvoll war, als Spiel wiederholt."8

Abschließend lässt sich feststellen, dass die psychoanalytische Spieltheorie die Auffassung beinhaltet, dass das Kind durch das Spiel bereits erlebte Leidenssituationen symbolisch aktiviert, um sie zu durchleben und zu bewältigen. Das Spiel dauert so lange und wird so häufig wiederholt, bis die nicht verarbeiteten Erlebnisse seelisch bewältigt werden.


1 Freud, S.: Jenseits des Lustprinzips; In: Sigmund Freud: GW Bd. III, 6. Aufl.; Frankfurt a.M.: Fischer Verlag, 1989. S.224.
2 Ebd.
3 Ebd. S.225.
4 Ebd.
5 Ebd.
6 Ebd.
7 Ebd.
8 Ebd. S.226.