Beim Murmelspiel haben sich Regeln von Generationen zu Generationen vererbt, und die Jüngeren lernen sie von den Älteren, um sie in gleicher Art und Weise einzuhalten. Doch neben diesen überkommenen Spielregeln werden nach und nach neue und eigene Varianten von den Kindern selbst entwickelt.
Es werden neue Richtlinien aufgestellt, die dann nach Absprache unter den Teilnehmern ebenso eingehalten werden müssen wie die traditionellen Regeln. Es vollzieht sich da ein Verhalten von kulturgeschichtlicher Bedeutung. Noch ehe die Kinder aus dem Alter des Murmelspiels hinauswachsen, haben sie ohne Beeinflussung der Älteren, die ja nicht mehr mitspielen, etwas Neues erfunden und auch darin das Prinzip der Gegenseitigkeit zur Richtschnur ihres Verhaltens gemacht.
In dem Augenblick, da das Kind beschließt, die alten Regeln abzuändern, hört es auch, an deren ewigen Bestand, an die Unveränderbarkeit der Dinge zu glauben. Dennoch bauen die neuerfundenen Spielvarianten und Regeln im Prinzip auf Gleichberechtigung der Teilnehmer; sie werden zur Richtschnur demokratischen Verhaltens, ehe die Kinder eigentlich wissen, was Demokratie für das Zusammenleben der Menschen und Bürger bedeuten kann. Es wird hier eine Verantwortung des einzelnen gegenüber der Gemeinschaft entwickelt, und wehe dem , der sich nicht an die aufgestellten Regeln hält und versucht durch Betrug zu siegen; er wird vom Mitspielen ausgeschlossen, bis er sich resozialisiert und einsieht, dass er gegen die Gemeinschaft gehandelt hat.
Beim Murmeln kann der Sieg ausgekostet werden, wie auch das Einstecken der Niederlage und damit das Verlieren der Murmel hingenommen werden muss, ohne dass der Spieler auf längere Zeit den andern Mitwirkenden deswegen gram ist. Das Kind steht hier am Scheideweg zwischen dem Sich-freiwillig-Einfügen oder egoistischer Selbstverwirklichung. So wohnt dem Murmelspiel eine erzieherische Funktion inne, ohne dass erwachsene Lehrmeister mitwirken. Darüber hinaus bietet das Murmeln mannigfache gymnastische Übungen, wie etwa das Aufstehen und Niederkauern, das Spannen der Finger, die Geschicklichkeit des Zielens und Spickens. (vgl. Mathys, S. 13,14)

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