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Vom Sinn des Spiels
Um die Bedeutung des Kinderspiels wussten schon die Minnesänger. So dichtete Graf Rudolf im 12. Jahrhundert: "Daz kint spielete und was frô."
In weiten Kreisen der Eltern, Pädagogen und Psychologen hat man erkannt,
dass das Spiel zur Erhaltung und Förderung der körperlich-seelischen
Gesundheit des Heranwachsenden einen wesentlichen Beitrag darstellt. Wenn
Jean Paul sagt, das Spiel sei die erste Poesie des Menschen, so weist
er damit auf das Schöpferische im kindlichen Tun und Gestalten hin.
Die magisch-mythischen Spiele lassen das Kind die jedem Menschen innewohnenden
archaischen Reaktionsformen ausleben. Es spiegelt sich in ihnen die Menschheitsentwicklung
und Geschichte. Ähnlich wie beim Märchenhören, nur in einer
aktiveren Form wird in den überlieferten Spielriten altes und zeitloses
Kulturgut unbewusst aufgenommen und verarbeitet. Das Ausleben von psychischen
Spannungen im Tummeln, in der Bewegung also, lässt Kräfte frei
werden, die der geistigen Erfahrung dienen.
Zwei Eigenheiten des kindlichen Gefühlslebens werden da offenkundig:
der Drang nach Selbständigkeit, Selbstbetätigung und die Aufnahmebereitschaft
der Sinne. Beim Erwachsenen ist vieles durch Grundsätze, Maßstäbe
und Erfahrungen in feste bestimmte Bahnen gelenkt. Anders in der kindlichen
Vorstellungswelt.
Der ganz junge Mensch unterscheidet noch nicht klar zwischen Innen und
Außen. Die Phantasie spielt eine ebenso große oder noch größere
Rolle als die Realität. Kinder sind Zauberer. Ihre Imaginationskraft
erlaubt es ihnen, aus unscheinbaren Objekten etwas Lebendiges zu machen,
sie zu beseelen. Einige Stofflappen genügen, um daraus eine Puppe
zu formen, ein Stück Holz wird in ein Tier verwandelt, und kurz darnach
zur Eisenbahn oder einem Auto umfunktioniert.
Wie man einst unter dem Begriff "Sport" jegliche Art von Zerstreuung und nicht bloß körperliche Übungen verstand, so unter dem altdeutschen Wort "spilôn" eine leicht schwankende, ziellos schwebende Bewegung. Für den Germanisten Friedrich Kluge galt als Grundbedeutung von Spiel der Tanz in Vorwärts- und Seitwärtsschritten, das auch zur Umkreisung werden könne.
Spielen ist nach dieser Auffassung eine Tätigkeit, die sich von anderen
Beschäftigungen, etwa der Arbeit, dadurch unterscheidet, dass sie
scheinbar kein Ziel und keinen Zweck hat. So wird das Spiel immer noch
von vielen Leuten verstanden, obwohl man doch heute weiß, dass sein
Ziel der Lustgewinn ist. Das Spiel verschafft dem Kind Genuss und Wohlgefühl,
gemäß der Schillerschen Maxime, der Mensch sei nur ganz Mensch,
wo er spiele. Die Erquickung, welche das Spiel bietet, lässt im Menschen
auch den Wunsch nach Wiederholung aufkommen, um wiederum in eine Oase
des Glücks zu gelangen.
Man könnte Immanuel Kants Ausspruch vom Schönen als Zweckmäßigkeit
ohne Zweck auf das Kinderspiel übertragen. In der Hingabe im spielerischen
Gestalten scheint das Kind selbstvergessen, doch zugleich findet es sich
selbst darin. Der natürliche Eifer und die Frische dürfen nicht
unterbunden werden. Die Bewegungsspiele im Freien fördern nicht bloß
die Geschicklichkeit der Glieder, sondern auch Beobachtungsgabe, Geistesgegenwart,
Reaktionsfähigkeit, Gedächtnisstärkung, Denk- und Urteilsvermögen.
Zu früh gegebene methodische Anweisungen, wie sich das Kind im Spiel
zu verhalten habe, kommt einer Einengung kindlichen Eigenlebens gleich.
Es soll die aus seinem eigenen Innern quellenden Anregungen in seiner
Ursprünglichkeit zu verwirklichen suchen, weil sie allein, seiner
Vorstellungswelt wirklich entsprechen. Kinder, die zu früh mit allen
möglichen Anregungen und Spielzeugen überfüttert werden,
verlieren ihre Eigenständigkeit und an Stelle von Spiellust tritt
Spielunlust, weil sie mit all diesen allzu raffinierten Spielobjekten
auf die Dauer nichts anzufangen wissen. Nicht der Besitz eines Fahrzeuges
ist im frühen Alter wichtig, sondern das Kind soll sich sein Fahrzeug
imaginativ vorstellen, um damit zu beweisen, dass seine Phantasiekräfte
nicht durch eine Überfülle von Spielsachen ertötet wurden.
Die Phantasie allein entrückt seinen Geist in jenes Wunderland, das
für uns Erwachsene aller Realität zu liegen scheint, aber das
Kind entfremdet sich dennoch nicht von der Wirklichkeit mit der es zur
Genüge konfrontiert wird, allein schon durch viele Bedürfnisse,
die es zu seiner leiblichen Befriedigung benötigt.
Was uns zunächst sinn- und zwecklos scheint, eben das Flüchten in ein Wunderland, das verschwindet mit zunehmendem Alter auf ganz natürliche Weise. Es kommt dann der Augenblick, wo die Buben und Mädchen sich nicht mehr nur auf die momentan sich nicht mehr nur auf die momentanen Tätigkeiten beschränken, sondern auch in den Besitz des Selbstgeschaffenen kommen wollen. Es ist dies ein Bestreben, das in der frühen Kindheit noch nicht wach werden kann, und erst auf dem Weg zum Erwachsensein allmählich stärker wird; dann wächst die Freude am Besitz und Erfolg, an Beifall und Bewunderung des Geleisteten und damit auch das Selbstgefühl des Kindes. Es ist dies die Zeit, in der ein Sozialisierungsprozess beginnt, das Einfügen in die Gesellschaft. Ein Spiel, das solche Funktionen bewerkstelligen kann, hat der Genfer Kinderpsychologe Jean Piaget in seinem wertvollen Buch "Das moralische Urteil beim Kind" unter die Lupe genommen:
Das
Murmelspiel
Das Murmelspiel ist ein Vergnügen der Kindergartenkinder
und wird bis etwa und wird bis etwa ins zehnte Lebensjahr von Knaben und
Mädchen im Freien, etwa auf der Straße und Plätzen, auf
kleinstem Raum ausgeübt.
Heute wird allerdings auch dieser "Spielplatz" durch den Verkehr immer mehr behindert, und die biblischen Zeiten, die der Prophet Sacharia schildert: "Und die Straßen der Stadt werden erfüllt sein von Knaben und Mädchen, die da spielen auf den Straßen" sind unwiederbringlich entschwunden. Doch die Menschen der Gegenwart besinnen sich wieder darauf, was für die Entwicklung gesunder Kinder notwendig ist und schaffen mehr und mehr Spielplätze in unmittelbarer Nähe der Wohnhäuser. Damit kann sich das spielerische Tun im Leben das Kindes auch mit Besinnlichkeit erfüllen.
Das Kind, das gerne aktive Spiele wählt, das Gemeinschaft, Bewegung
und Sinnerfüllung sucht, muss Gelegenheit haben, seine Spielzeit
im Freien zu verbringen. Es wird seine Lieblingsspiele entsprechend seinen
Begabungen auswählen; ihm darin freie Hand zu gewähren, ist
die besten Voraussetzung, um es zu Kulturleistungen anzuspornen. (Mathys,
S. 11-14)

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